Montag, 21. Februar 2011

Filmkritik: 127 Hours

Der Schock sitzt tief. Obwohl jeder, der sich in 127 Hours anschaut, wissen dürfte, was passiert, ist die bittere Wahrheit doch bedrückend erschreckend. Aron Ralston steckt fest. Der Hobby-Extremsportler ist an einem Wochenende zum Biken und Klettern nach Utah gefahren. Dort rutscht er bei einem eigentlich simplen Klettermanöver in einer Felsspalte ab und klemmt seinen Arm zwischen einem Felsbrocken und der Canyonwand ein.

Soweit die Grundkonstelation, die relativ exakt auf den wahren Erlebnissen eben jenes Aron Ralstons beruhen. Doch trotz der naturgegebenen Stasis seines Hauptdarstellers gelingt es Boyle die ihm so typische Energie zu bündeln. Bevor er es sich jedoch mit Ralston, der von einem fantastischen James Franco gespielt wird, in die Felsspalte gemütlich macht, lässt er ihn zu aller Erst fast schon in einer Art Zitat auf seinen Film The Beach auf zwei junge Damen treffen. Könnten das die letzten Personen sein, mit denen er Kontakt hatte? Denn kurze Zeit darauf hat Ralston seinen schicksalsträchtigen Unfall. Ab hier beginnt die ganze Empathie des Zuschauers. Hatte Danny Boyle Ralston zuvor noch als eher egoistisch, selbstüberschätzten, aber trotzdem lustig, verrückten Charakter inszeniert, der zu viel Selbstvertrauen hat um irgendjemand von seinem Trip zu erzählen und weder Handy noch Schweizer Offiziersmesser mitnimmt, weiß einen ab der ersten Sekunde sofort die Verzweiflung Ralstons zu packen. So verkommt 127 Hours glücklicherweise nie zu einem Horror-Psycho-Drama Mix. Im Gegenteil: James Francos Aron Ralston singt richtiggehend eine Hymne auf den schieren Lebenswillen.

Der spielt dabei unbestreitbar in der besten Rolle seines Lebens. Während er mit dem Stein kämpft, spielt er geradezu um sein Leben. Dabei ist er stets fantastisch fotografiert. Die beiden Kameramänner Anthony Dod Mantle und Enrique Chediak filmen ihn aus jeder möglichen Einstellung des Canyons: Von gigantischen Landschaftspanoramen bis zu den kleinsten Details von Ralstons Körper wird kein Winkel ausgelassen. Egal ob die Kamera über den Tellerrand des Canyons hinausschaut und einen gigantischen Sonnenaufgang über der Wüste Uthas filmt oder direkt durch Arons halbleere Flasche in seinen ausgetrockneten Mund blickt, verströmen die Bilder stets die fast schon typisch Boylsche Bildkraft.

Apropos Wasser: In unglaublich scharfzüngigem Zynismus schneidet Boyle zu den schwindenden Wasservorräten Werbespots sämtlicher bekannter Marken. Und auch wenn ein scheiternder Befreiungsversuch von einem fröhlichen "Lovely Day" untermalt wird, versprüht der Film einen gewissen schwarzen Humor, der aber nie ins lächerliche, oder gar abwertende abdriftet.

Allgemein ist die Musik von A.R. Rahmann äußerst passend gelungen. Der Score, dessen indische Wurzeln des Komponisten nicht abzustreiten sind, mischt sich stets energetisch, aber nie pathetisch mit einer Compliation aus den verschiedensten Musikrichtungen ins Geschehen.

Dazu schneidet Boyle zu Anfang und immer wieder während des ganzen Films Splitscreenmonatagen von Menschenmasse. Strömende Mengen an U-Bahn stellen, der Start eines Marathons oder ein Basketballmatch und dazu ein in Extremzeitlupe fallender Ralston zeigen beeindruckend die Abschottung der gesamten. Dem gehen derweil immer mehr die Vorräte zu Neige.

Während er also gefangen ist, beginnt er mit der Reflexion seines Lebens, woraus 127 Hours viel von seiner Faszination nimmt. Weil der Film hier nicht ins kitschig Pathetische verfällt, sind die Rückblenden stets fast schon willkommene Abwechslung aus der verzweifelten Situation - Bis Ralston immer wieder bildlich außen vor ist. Auch Visionen-ähnliche, aber gottseidank nie auf lächerlich metaphysische Ebene abgestumpfte, Eingebungen Ralstons kommen mit der Zeit hoch. Da gesellen sich seine Eltern auf der häuslichen Couch zu ihm den Canyon, da sieht er ein spielendes Kind. Um sich vor dem Verrücktwerden zu bewahren macht, kommt er schließlich auf die Idee mit seinem Videorekorder Abschiedsbotschaften aufzuzeichnen. Wenn James Franco dann in Scheunentorgröße von der Leinwand auf die Zuschauer hinabspricht, ist das Kino von seiner intensivsten Sorte.

Intensiv ist auch das richtige Wort für Ralstons Befreiung. War anfangs noch von Zusammenbrüchen im Publikum die Rede, offenbart sich die Amputation des Arms als willenstärkestes Filmereigniss der letzen Jahre. Hatte man vor dem Kinobesuch vielleicht mit einem prophylaktisches Augenverdecken gespielt, ist es schließlich, als die Entscheidung zur Abtrennung gefallen ist, eine unglaubliche Bindung an den Stein und seinen Gefangenen entstanden, die eine förmlich dazu zwingt das Procedere beizuwohnen. Da knacken Knochen, spritzt Blut, schreien Nerven förmlich vor Schmerz und der Zuschauer wird von einer unbändigen Naturkraft nicht mehr losgelassen. Er will raus, er will endlich weg von diesem verdammten Stein. Raus in die Welt. Frei sein. Leben!

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